Später mal, wenn sie berühmt ist, wird alles anders sein. Dann ist der Klavierhocker vor dem offenen Flügel auf der ansonsten leere Bühne in der richtigen Höhe. Dann strömen die Menschen in Scharen ihretwegen in den wohltemperierten Konzertsaal und das Programm ist auf feinstes Papier gedruckt.
Doch heute muss sie sich selbst den Stuhl richten, der noch zur Körpergröße des Vorgängers passt. Heute kommt das Publikum, weil es anspruchsvolle aber kostenfreie Kunst erwartet und die Titelfolge der fünf Pianisten ist auf einfaches weißes Papier kopiert. Und statt von aufgeregten Verkäufern wird das Programm von uninteressierten Platzanweiserinnen verteilt.
Nicht, dass die Plätze zuzuweisen wären: Bei den Mittags-Konzerten der Juilliard School of Drama, Dance and Music, die alle paar Wochen Mittwochs in der Alice Tully Hall „for free“ gegeben werden, ist auch die Platzwahl frei. Und so sitzen heute die rund 400 interessierten Zuschauer weit verstreut in dem rund 1000 Plätze umfassenden Konzertsaal.
Ich nehme in der letzten Reihe Platz, bin gerade noch hineingehuscht, die Türen schlossen eigentlich schon. Der erste Eindruck gilt dem Saal: überwältigt.
Das Holz der Wände und Decken strahlt wegen des freundlichen, rotorange Tons eine angenehme Wärme aus, in der man sich gleich gut aufgehoben weiß. Die schnörkellose Form des Raumes lässt eine ausgezeichnete Akustik erahnen. Und so ist es dann auch. Als der vierte junge Pianist die ersten Tasten anschlägt, hört man diese so zarten Töne dennoch klar und perlend. Der Programmzettel weist ihn als Christopher Reynolds aus und er spielt „Portrait of Madame Butterfly“ von Yvar Mikhashoff. Beim flotten Gang von der Hinterbühne an den Flügel unterstellte ich ihm noch Überheblichkeit, so cool durchschritt er die zehn Meter. Doch am Instrument selber war er Gefühl pur. Mit Recht sprangen nach seinem Vortrag die Menschen in der ersten Reihe begeistert auf. Jedenfalls ein paar – vielleicht seine Großeltern.
Das Programm des Mittagskonzertes war anspruchsvoll. So richtig gefällig war keines der Stücke, jedes erforderte genaueste Aufmerksamkeit, wollte beim Hören „erarbeitet“ werden. Ich mag das ja – die Betreuerin der älteren Dame neben mir war sichtlich gelangweiligt und faltete ausgerechnet an der leisesten Stelle ihren Programmzettel zu einem Origamiquadrat.
Wenn es Dich interessiert: Dies war das Programm von Mittwoch, 22.10.14:
- Alexander Scribian, Fantasy in B-Minor, Opus 28 vorgetragen von Fransisco Montero
- Maurice Ravel, Scarbo von Gaspard de la nuit vorgetragen von ChenCheng Yao
- Karol Szymanowski, Variationen Op. 3 vorgetragen von Yun Wei
- Yvar Mikhaskoff, Poträt von Madame Butterfly vorgetragen von Christopher Reynolds
- Frederic Chopin, Preludes Nummer 15 bis 24 vorgetragen von Wenting Shi
Dieser Kunstgenuss wird übrigens regelmäßig geboten und ist für Fans der klassischen Musik sehr zu empfehlen: In der Reihe Wednesday at One präsentieren sich Studentinnen und Studenten der berühmten Juilliard School als Teil ihrer Ausbildung in einstündigen Konzerten, die kostenfrei sind. Der Kalender auf der Website gibt Auskunft. Das nächste für mich erreichbare Konzert ist am 5. November. Dann sind Percussion Ensembles dran. Da setze ich mich wohl lieber wieder in die letzte Reihe.
Meine liebe Dörte , klar bin ich parteiisch … Mütter dürfen das! Also, mir gefallen deine Artikel. Trotz der wenigen Sätze fühle ich mich genauestens informiert, bin in Gedanken im Amtrak, im Konzertsaal oder sogar vor dem schändlichen Schaufenster. Es tut mir gut, dich dort so zufrieden zu sehen .. danke, daß ihr mir das Skype eingerichtet habt. Ich wünsche dir einen weiteren spannenden Tag. Kuß Mama
DU bist die Beste!
Den (ent)spannenden Tag hatte ich: war in Coney Island. Beitrag folgt.
Kuss, Dörte